We’re All Going To The World’s Fair (2021)

Being online – heute & damals: The Movie.

Die einsame Teenagerin Casey (großartig: Anna Cobb) sitzt in ihrem Dachboden-Zimmer und ist … online. Drei mal spricht sie die Worte „I want to go to the World’s Fair“ in die Kamera, schmiert etwas Blut auf den Bildschirm ihres Laptops und schaut sich ein kurzes Stroboskopvideo an, bevor sie verspricht, über alle „Veränderungen“, die sie bemerkt, zu berichten. Wenige Klicks – und Casey ist Teil des Spiels. Und Dinge beginnen zu geschehen …

„We’re All Going to the World’s Fair“ vermischt reale Phänomene der heutigen Internet-Popkultur zu einem erzählerisch anspruchsvollen, extrem schwer zugänglichen, aber höchst poetischen Coming-of-Age-Horror-Film.

Eines dieser wirklich existenten Phänomene ist die Creepy Pasta-Bewegung, in der zum Großteil erfundene Grusel- oder Horrorgeschichten im Internet verbreitet und weitergesponnen werden. Der Film selbst ist mit seinem fiktiven Online-Game „World’s Fair Challenge“ auf einer Meta-Ebene ein Betrag zu dieser Nischen-Kategorie der memeartigen Internet-Gruselgeschichten.

Weiter wird das Phänomen der viralen Internet-Challenges aufbereitet. In der „World’s Fair Challenge“ zeichnen die Spielenden die eigenen psychischen und physischen Veränderungen auf Video auf und veröffentlichen diese fortlaufend online. Gleichzeitig haben wir es bei der „World’s Fair Challenge“ mit einem Massive Multiplayer Online Role-Playing Game (MMORPG) zu tun. Entsprechend fragt man sich, ob das als „das gruseligste Horrorspiel des Internets“ angepriesene Game nicht teilweise auch gekonnt inszeniert wird.

Definitiv echt ist Caseys Online-Bekanntschaft JLB, ein älterer Mitspieler, der sich scheinbar um sie sorgt und ihr anbietet, auf sie aufzupassen und gegebenenfalls zu intervenieren, wenn die Mächte hinter der World’s Fair sie in Gefahr bringen sollten.

Aber mit wem schreibt Casey da? Wer sind die Menschen, die sich diese Videos anschauen, miteinander Kontakt aufnehmen, sich umeinander kümmern oder sich gegenseitig Angst einflößen?

“We can be scared together. Keep posting videos so I know you’re okay.”, sagt JLB zu Casey.

Die nichtbinäre Regisseurin Jane Schoenbrun verquickt Online-Phänomene und Ennui zu einem von Dunkelheit, leuchtenden Monitoren und Teenage-Angst getränkten Arthouse-Horror-Drama. Der Film hat keine gradlinige Handlung. Er will ein Gefühl hervorrufen. Und das gelingt ihm vortrefflich: „We’re All Going to the World’s Fair“ versetzte mich wie kein Film zuvor zurück in die 2000er, als ich um 2:00 Uhr nachts mit virtuellen Freunden/potenziellen Liebhabern/Fremden über ICQ chattete. Bedeutungsschwanger, eigentlich pointless, manchmal langweilig, oft aufregend, teils sexy, teils tröstend, manchmal sogar gefährlich, immer irgendwie gruselig … kurz davor, ein Treffen zu vereinbaren und diese virtuelle Person aus dem glitzernden Weiten des Internets in der Realität zu manifestieren – ohne zu wissen, wen oder was man da heraufbeschwört.

„We’re All Going to the World’s Fair“ spielt in 2021, fängt dieses Gefühl, das ich damals allein in der Dunkelheit vorm PC hatte, aber perfekt ein. Auf der Suche nach Gleichgesinnten, nach Ablenkung, nach Freundschaft, nach Liebe. Ein einmaliger Film. Sperrig, fragmentarisch, teils fast langweilig und ziellos – genau so, wie es sich anfühlt, wenn man sich nachts durch das Netz treiben lässt. Gewiss kein Lieblingsfilm. Aber ein Film, der einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, weil er wie kein Zweiter ein Gefühl wiederbelebt, das ich seit vielen Jahren beiseitegeschoben hatte.