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Dieser Film sucht mich schon seit Jahren heim. In vielen Toplisten erscheint er als einer der besten Horrorfilme aller Zeiten. Freundinnen und Freunde, die das Genre lieben, empfehlen ihn regelmäßig. Ich hasse jedoch „Torture Porn“. Es ist ein Subgenre des von mir heiß geliebten Horror Genres, das ich eigentlich meide. Aber was, wenn ich nun ein Genre Meisterwerk verpasse, nur weil ich Angst vor ein paar Ekelszenen habe? Also heute dann anlässlich des #Spooktobers auf Mastodon:
“Der Höhepunkt der neuen französischen Extremität“: „Martyrs“.
Regie: Pascal Laugier.
Um meinen Unmut formulieren zu können, muss ich hier einmal die Handlung des Films zusammenfassen. Also Vorsicht:
Die kleine Lucie (Jessie Pham) entkommt aus ihrer Gefangenschaft, nachdem sie lange Zeit körperlich und seelisch extrem misshandelt wurde. Als junge Erwachsene (Mylène Jampanoï) ist sie davon getrieben, sich an ihren Peinigern zu rächen. Sie tut sich mit Anna (Morjana Alaoui) zusammen, einer Freundin, die sie im Waisenhaus kennengelernt hat, und gemeinsam begeben sie sich auf einen Rachefeldzug, der sie jedoch nur tiefer in eine untergründige Welt der Grausamkeit und Perversion führt. Denn nachdem Lucie die Schuldigen aufspürt und tötet, nimmt sie sich getrieben durch Halluzinationen das Leben. Es stellt sich heraus, dass die Schuldigen Teil einer geheimen Gesellschaft sind. Im weiteren Verlauf der Handlung gerät Anna in Gefangenschaft dieser Sekte. Diese glaubt, dass man durch das Erleiden extremen körperlichen Leids Kontakt zu jenseitigen Wesenheiten aufnehmen und Einblick in das Leben nach dem Tod erhalten kann. Ein Konzept, welches übrigens bereits von Clive Barker 1986 in „Hellraiser“ wesentlich besser und zumindest mit einer gewissen Erotik umgesetzt wurde.
Natürlich will kein Mitglied der Sekte dieses Konzept am eigenen Leibe ausprobieren und foltert daher junge Frauen. Im Zuge dessen wird Anna lange brutal gefoltert, bis sie bei lebendigem Leib gehäutet wird. Dabei erlebt sie die von den Sektenmitgliedern angestrebte Transzendenz und versaut ihnen gewaltig den Tag, als sie der Sektenführerin das Geheimnis des Jenseits zuflüstert, ohne das wir als Zuschauer verstehen können, was sie sagt. Denn was Anna zu berichten weiß, veranlasst die böse Mademoiselle, sich selbst zu töten.
Der Film beginnt stark, gleitet aber nach der bereits extrem brutalen, expliziten ersten Hälfte in seelenlose Dunkelheit ab. Ab hier erleben wir nur noch die Aneinanderreihung von Grausamkeiten. Das wäre vielleicht verzeihlich, wenn die Filmemacher nicht eine große Portion Pseudophilosophie und Frauenfeindlichkeit dazu mischen würden, die sie selbst höchstwahrscheinlich als anspruchsvollen Arthouse Horror empfinden.
Ab diesem Punkt war ich gleichzeitig gestresst und (bei Horror unverzeihlich!) gelangweilt.
Wie viele ekelhafte Fütterung Szenen braucht es? Wie oft und wie lange muss die Kamera drauf halten, wenn eine junge Frau von einem Mann, der doppelt so breit und doppelt so schwer ist wie sie, aufs brutalste stumpf blutig geprügelt wird?
Für mich ist „Martyrs“ in erster Linie genau das, was ich filmisch nicht mag: Torture Porn. Er zeigt Folter um der Folter willen. Gewalt, um die Schaulust der Betrachtenden zu befriedigen. Erlösung könnte hier möglicherweise ein Ende bieten, dass all dem Grauen Sinn verleiht. Doch leider liefert „Martyrs“ keine solche Auflösung. Er tut nur so. Und wahrscheinlich merkt er das selbst gar nicht. Das Ende enttäuscht mich. Was mich am meisten stört:
Fragen wir uns doch einmal: Was ist ein Martyrium?
Definition laut Oxford Languages:
‚Mar·ty·ri·um
Substantiv, Neutrum [das]
schweres Leiden [bis zum Tod] um des Glaubens oder der Überzeugung willen
„ein Martyrium auf sich nehmen“‚
Tja nun. Niemand stirbt in diesem Film für Überzeugungen. Und das ist es, was Märtyrertum ausmacht. Der Begriff wird hier fälschlicherweise verwendet. Nichts von dem, wozu Anna am Ende im Stande ist, auf sich zu nehmen, hat mit einem Martyrium zu tun. Ich empfand es so, dass Anna sich entscheidet, ihre Qualen anzunehmen, weil es der einzige Weg ist, ihnen zu entkommen. Das hat nichts zu tun mit: Ich sterbe/opfere mich für meine Überzeugung/das, woran ich glaube. Vielleicht erlebt sie im Zuge dessen etwas, was man Transzendenz nennen kann. Aber mit Freiwilligkeit und Märtyrertum hat das nichts zu tun.
Eine Szene macht mich übrigens besonders wütend:
Anna entdeckt in einem Keller eine gefangene, gefolterte Frau. Die Frau ist nackt, gefesselt. Ihr wurde ein Folterinstrument in Form einer Maske auf schmerzhafte Weise am Kopf befestigt. Aus unerfindlichen Gründen schleppt Anna die Frau in die Badewanne (?) Und beginnt, die im Schädel der Frau angebrachten Befestigungen selbst (??) zu entfernen. Mein erster Gedanke: Wenn Du jetzt einen Krankenwagen und die Polizei gerufen hättest (!!!), wären uns die nachfolgenden 45 Minuten des Films erspart geblieben.
Was mir ebenfalls sauer aufstößt, ist „Martyrs“ Misogynie. Von Anfang an werden hier ausnahmslos Frauen gefoltert. Halbnackte Frauen, Frauen nur mit Slip und Tank Top bekleidet. Ohne BH. Stets sauber rasiert, obgleich sie Tage, Wochen oder monatelang in Kellern gefoltert wurden. Male gaze, I see you.
Aber wieso eigentlich werden hier nur Frauen gefoltert?
Hat die clever geheime Gesellschaft ihre Testphase mit männlichen Opfern bereits erfolglos beendet? Tja, erwähnt wird das zumindest nicht.
Vielleicht wäre „Martyrs“ in den Händen einer weiblichen Regisseurin ein anderer Film geworden.
Die Frage, die sich nun stellt: Ist das Kunst, oder kann das weg? Entscheidet selbst. Freiwillig würde ich mir „Martyrs“ nie wieder anschauen.